September 05, 2021

Erfüllung der Emissionsreduktionsziele durch Auslandskompensation

Kauft die Schweiz ausländische Emissionsverminderungen ein, statt ihre eigenen Emissionen zu reduzieren und die dringend nötige Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft und Gesellschaft entschieden einzuleiten, riskiert sie, nicht genügend schnell Klimaneutralität erreichen zu können.

von Cordelia Christiane Bähr


Es ist das Ziel aller internationaler Klimapolitik, die Treibhausgasemissionen in der Atmosphäre so zu stabilisieren, dass eine gefährliche anthropogene Störung es Klimasystems verhindert wird (Art. 2 UNFCCC). Lange ging man davon aus, dass eine solche gefährliche Störung verhindert werden kann, wenn sich die Erde um nicht mehr als 2°C erwärmt. Neue wissenschaftliche Grundlagen zeigten aber, dass das «2-Grad-Limit» nicht mehr als «sicher» angesehen werden kann (Subsidiary Body for Scientific and Technological Advice, Message 5). Aus diesem Grund verpflichteten sich die Vertragsstaaten inklusive der Schweiz 2015 im Übereinkommen von Paris, die durchschnittliche globale Erwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit auf «deutlich unter» 2°C zu begrenzen, und einen maximalen Temperaturanstieg von 1,5 °C anzustreben (Art. 2(1)(a)).

Der Weltklimarat veröffentlichte 2018 den im Auftrag der Staatengemeinschaft erstellten Sonderbericht über die Auswirkungen einer globalen Erwärmung von 1,5°C und den damit verbundenen globalen Treibhausgasemissionsreduktionspfaden. Der Sonderbericht zeigt, dass sich durch die Begrenzung der Erwärmung auf 1,5°C statt auf 2°C zahlreiche – zum Teil unumkehrbare – Auswirkungen vermeiden liessen. Seit der Veröffentlichung des Sonderberichts besteht weltweit politisch und wissenschaftlich Konsens, dass der Grenzwert von 1,5°C der Massstab für die Länder ist, an dem sie ihre Emissionsreduktionen ausrichten müssen.

Der Sonderbericht kommt zum Schluss, dass bis 2050 globale CO2-Neutralität erreicht werden muss, damit eine Chance besteht, die Erderwärmung bei 1,5°C zu stabilisieren. Hierzu müssen die globalen Emissionen bis 2030 gegenüber 2010 ungefähr halbiert werden. Der Sonderbericht hält ebenfalls fest, dass jedes Jahr Verzögerung der nötigen Emissionsreduktionen die verbleibende Zeit zur Einhaltung des 1,5°C Limits überproportional verkürzt. Um Jahre verspätete Absenkungen führen nicht zuletzt zu kaum bewältigbaren, steilen Absenkkurven, mit dem Risiko, das 1,5°C Limit nicht mehr erreichen zu können.

Die Schweiz hat sich dazu bekannt, ihre Emissionen bis 2030 um 50 % gegenüber 1990 reduzieren; so jedenfalls die auch nach Ablehnung des totalrevidierten CO2-Gesetzes unter dem Übereinkommen von Paris weiterhin bestehende nationally determined contribution (NDC). Ein Teil dieser Emissionsreduktionen soll im Ausland erfolgen. Der Bundesrat führte hierzu begründend auf, dass das Übereinkommen von Paris – jedenfalls im Grundsatz – dies erlaube (BBl 2018 247, 283, vgl. Art. 6), und die Schweiz im internationalen Vergleich einen hohen Anteil an grauen Emissionen aufweise (BBl 2018 247, 286). An dieser Strategie der Auslagerung der Emissionsreduktionen ins Ausland scheint der Bundesrat auch nach Ablehnung des totalrevidierten CO2-Gesetzes durch das Schweizer Volk vom 13. Juni 2021 festzuhalten.

Der Zukauf von Emissionsreduktionen im Ausland zur Anrechnung an im Inland zu erbringende Emissionsreduktionen ist allerdings aus verschiedenen, im Folgenden selbstverständlich nicht abschliessend genannten Gründen problematisch:

  • Der vom Weltklimarat im Sonderbericht berechnete globale Treibhausgasemissionspfad, mit welchem eine Chance von 50 % auf die Einhaltung des 1,5°C Limits bestehen soll, verlangt bis 2050 globale CO2-Neutralität. Das heisst, jedes einzelne Land der Welt muss bis 2050 CO2-neutral sein. Um die Wahrscheinlichkeit auf 66 % zu erhöhen, müsste bereits 2040 global Netto-Null erreicht werden.
  • Kauft die Schweiz ausländische Emissionsverminderungen ein, statt ihre eigenen Emissionen zu reduzieren und die dringend nötige Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft und Gesellschaft entschieden einzuleiten, riskiert sie, nicht genügend schnell Klimaneutralität erreichen zu können. Fände eine Reduktion der inländischen Emissionen um 37 % bis 2030 statt und würde das Reduktionstempo so fortgeführt, würde es nach 2030 denn auch noch 35 Jahre dauern, bis die Emissionen im Inland auf Netto-Null sinken, d.h. bis 2065 (scnat, akademie der naturwissenschaften, S. 3).
  • Je weiter die Reduktionsanstrengungen in die mittlere bis ferne Zukunft verschoben werden, desto schwieriger (wenn nicht unmöglich) wird es also für die Schweiz sein, einen mit dem 1,5°C Limit kompatiblen Pfad zu erreichen. Dies nicht zuletzt aufgrund steigender Kosten für die dann erforderlichen Emissionsreduktionen in kurzer Zeit, aufgrund der Abhängigkeit von kohlenstoffemittierenden Infrastrukturen, aufgrund verlorener Vermögenswerte («stranded assets») und der geringeren Flexibilität bei mittel- und langfristigen Optionen.
  • Der Kauf von ausländischen Emissionsverminderungen dient gemäss der aktuellen Umsetzung dem einzigen Zweck, Emissionsreduktionen, die die Schweiz selber erbringen muss, auf die Zeit nach 2030 zu verschieben. Diese Strategie verletzt nicht zuletzt die Freiheitsrechte künftiger Generationen (vgl. den Entscheid des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 29. April 2021 und z.B. den Blog von Rehmann/Rehmann-Sutter hierzu).
  • Die Strategie des Verschiebens lässt zudem das CO2-Budget ausser Acht. Entscheidend für die Klimawirkung ist nicht nur das Ausstiegsjahr, sondern insbesondere auch die kumulierte Menge Treibhausgase, die bis dahin noch emittiert wird. Das CO2-Budget, das der Schweiz vor dem Hintergrund des 1,5°C Limits noch zur Verfügung steht, ist limitiert.
  • Gemäss Art. 6 Abs. 2 des Pariser Übereinkommens besteht zwar grundsätzlich die Möglichkeit zur Kooperation. Doch fehlen hierzu nötige, von den Vertragsparteien beschlossenen Leitlinien über die Regeln für solche Abkommen weiterhin. Und es stellt sich die Frage, ob jener Artikel tatsächlich als Grundlage dazu dient, die von einem Staat bis zur Erreichung von Netto Null zwingend selber zu erbringende, inländische Emissionsreduktion über den Zukauf von ausländischen Emissionsverminderungen zu erfüllen, wie die Schweiz das offensichtlich annimmt. Immerhin hält Art. 6 Abs. 1 des Pariser Übereinkommens klar fest, dass der Zukauf von ausländischen Emissionsverminderungen nur dazu dienen soll, sich «höhere» Ambitionen zu setzen – und wohl nicht, Mindestambitionen damit zu erfüllen. Vielmehr sind Abkommen im Sinne von Art. 6 des Pariser Übereinkommens dazu geeignet (und erwünscht), um zusätzlich zur inländischen Emissionsreduktion im Sinne des 1.5°C Limits im Ausland anfallende, graue Emissionen zu kompensieren, oder einen gerechten „fair share“ zu leisten.
  • Last but not least besteht angesichts der internationalen Realitäten die dringende Gefahr, dass die verkaufenden Länder, die wie gezeigt alle selber klimaneutral werden müssen, ihre «low hangig fruits» verkaufen und ihre eigenen Anstrengungen darob vernachlässigen. Dies wiederum gefährdet die globale Einhaltung des 1,5°C Limits.
Photo Credit: Claudio Schwarz on Unsplash

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