Ökozid
Die Häufigkeit und Vielfalt von Klagen, die sich mit dem Klimawandel befassen, nehmen zu. Oft handelt es sich dabei um Menschenrechtsklagen oder zivilrechtliche Klagen. Das Strafrecht spielt bisher eine untergeordnete Rolle. Im internationalen Strafrecht wird seit einigen Jahren die Aufnahme eines sog. Ökozid-Tatbestands in das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) zunehmend breiter diskutiert. Die Theorie des Ökozids ist, dass niemand für die Zerstörung der natürlichen Welt unbestraft bleiben sollte. Die Zerstörung der Umwelt soll zu einem Verbrechen gemacht werden, welches durch den IStGH verfolgt werden kann. Derzeit kann der IStGH nur vier Verbrechen verfolgen: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen der Aggression. Durch die Aufnahme eines Ökozidtatbestands als fünftes Verbrechen in das Römer Statut des IStGH könnten Verursacher*innen von Umweltzerstörung vor dem IStGH strafrechtlich verfolgt werden.
Polly Higgins, eine britische Anwältin, die 2019 verstorben ist, definierte 2010 den Begriff des Ökozids als die weitreichende Beschädigung, Zerstörung oder der Verlust des/der Ökosystems/e eines bestimmten Gebietes, sei es durch menschliches Handeln oder durch andere Ursachen, in einem solchen Ausmass, dass die friedliche Nutzung durch die Bewohner*innen dieses Gebietes stark beeinträchtigt wurde. Higgins rief die Bewegung „Stop Ecocide“ ins Leben, zu deren Mitgliedern Expert*innen für internationales Recht zählen. Im Juni 2021 veröffentlichte ein durch Stop Ecocide einberufenes Expertenpanel einen Vorschlag für die Definition von Ökozid, der als Basis für die Änderung des Römer Statuts des IStGH dienen soll. Nach dieser Defintion sollen gemäss Römer Statut unter den Begriff Ökozid rechtswidrige oder vorsätzliche Handlungen fallen, die mit dem Wissen begangen werden, dass eine erhebliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass durch diese Handlungen schwere und entweder weitreichende oder langfristige Umweltschäden verursacht werden. Das Ziel der Initiant*innen von Stop Ecocide ist es, zwei Drittel der Vertragsstaaten des Römer Statuts und damit die dafür erforderliche Mehrheit davon zu überzeugen, die Zuständigkeit des IStGH auf Umweltverbrechen zu erweitern. Bis heute blieb die Initiative erfolglos.
Strafverfahren gegen Klimaaktivist*innen
Im Zusammenhang mit Strafrecht und Klimawandel zu erwähnen sind Strafverfahren, die gegen Klimaaktivst*innen eröffnet werden, weil sie mit Aktionen zivilen Ungehorsams auf die Dringlichkeit der Klimakrise aufmerksam machen wollen.
Als Beispiel zu nennen ist ein Fall aus Lausanne: Das Bezirksgericht Lausanne hatte zu beurteilen, ob sich 12 Aktivist*innen des Hausfriedensbruchs und des Widerstands gegen polizeiliche Anordnungen strafbar gemacht hatten. Die Aktivist*innen waren zunächst von der Staatsanwaltschaft per Strafbefehl verurteilt worden, weil sie im November 2018 die Räumlichkeiten einer Schweizer Grossbank in Lausanne besetzt hatten. Sie verkleideten sich als Roger Federer, der für die Bank als Werbeträger auftrat, und spielten eine Partie Tennis, um die damaligen Investitionen der Bank in fossile Energien anzuprangern. Das Bezirksgericht Lausanne sprach die Aktivist*innen wegen rechtfertigenden Notstands (Art. 17 StGB) frei. Gemäss Artikel 17 StGB handelt rechtmässig, wer eine Straftat begeht, um damit ein eigenes oder das Rechtsgut einer anderen Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr zu retten, wenn dadurch höherwertige Interessen gewahrt werden. Die Staatsanwaltschaft legte Berufung ein und zog den Fall vor das Waadter Kantonsgericht. Dieses verurteilte die Aktvist*innen im September 2020 zu bedingten Geldstrafen sowie Bussen. Das zweitinstanzliche Urteil wurde von den Aktivst*innen an das Bundesgericht weitergezogen, welches ihre Beschwerde mit Urteil vom 26. Mai 2021 abwies (6B_1295/2020). Das Bundesgericht befand, dass das Erfordernis einer „unmittelbaren Gefahr“ i.S.v. Art. 17 StGB nicht erfüllt sei. Nicht zu prüfen oder in Frage zu stellen seien in diesem Zusammenhang die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Klimaerwärmung. Eine Auslegung der Notstandsregelung ergebe, dass sich eine „unmittelbare“ Gefahr kurzfristig, zumindest innerhalb von Stunden nach der Tat realisieren müsse. Artikel 17 StGB ziele in diesem Sinne nicht darauf ab, einen Täter von der Bestrafung auszunehmen, der glaubt, zur Wahrung eines seiner Einschätzung nach berechtigten oder höherrangigen Interesses handeln zu müssen. Vielmehr gehe es um eine konkrete Situation, in der sich der Täter zufällig mit einer kurzfristig eingetretenen Gefahr konfrontiert sehe. Mit anderen Worten sei nicht über die Dringlichkeit der Klimaerwärmung als solche zu befinden; festzuhalten sei einzig, so das Bundesgericht, dass im Moment der Aktion keine aktuelle und unmittelbare Gefahr im Sinne der strafrechtlichen Notstandsregelung bestanden habe (6B_1295/2020 vom 26. Mai 2021, E. 2.5).
Strafbestimmungen im CO2-Gesetz
Im CO2-Gesetz vom 23. Dezember 2011 gibt es Strafbestimmungen, welche zur Anwendung kommen, wenn gegen bestimmte Bestimmungen des Erlasses verstossen wird (vgl. Art. 42 ff. CO2-Gesetz betreffend Hinterziehung oder Gefährdung der CO2-Abgabe und Falschangaben über Fahrzeuge). Dabei handelt es sich um Übertretungsstraftatbestände.