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Haftungsrecht & Klimawandel


Zunehmend wird im Klimakontext nicht mehr nur die Verantwortung von Staaten, sondern auch diejenige von Unternehmen diskutiert. Dabei stellen sich haftungsrechtliche Fragen. Können Unternehmen, die grosse Mengen an Treibhausgasen ausstossen, zivilrechtlich haftbar gemacht werden für durch den Klimawandel verursachte Schäden? Können Sie von Gerichten verpflichtet werden, ihre Emissionen zu reduzieren?

Klimaprozesse gegen Energieunternehmen auf Schadenersatz

Der Klimawandel als komplexes Phänomen stellt Rechtssysteme vor zahlreiche Herausforderungen. Eine Hauptschwierigkeit besteht darin, dass eine grosse Anzahl von Verursachern (Emittenten von Treibhausgasen) in unterschiedlichem Ausmass zum Klimawandel beigetragen haben (und weiterhin beitragen), die entstandenen Schäden aber diffus irgendwo auf der Welt und zudem zeitlich verzögert eintreten können. Ob Emittenten, insbesondere Grossemittenten wie etwa fossile Energie- oder Zementunternehmen daher für Klimaschäden haften könnten, ist aus mehreren Gründen eine sehr komplexe Frage. Unter anderem ist die Kausalität, eine zentrale Haftungsvoraussetzung, schwierig nachzuweisen. Auch stellen prozessuale Hindernisse hohe Hürden dar, so etwa im Zusammenhang mit der Prozesslegitimation (Fähigkeit, einen Prozess zu führen), (z.T. prohibitiv) hohen Prozesskosten für die Klägerschaft und der Bezifferung von Schäden.

[Photo credit: Willian Justen de Vasconcellos on Unsplash]

Das weltweit wohl anschaulichste Beispiel eines Klimaprozesses gegen ein privates Unternehmen wird derzeit in Deutschland durchgeführt.  Saul Lliuya, ein peruanischer Bauer, verklagt den börsenkotierten deutschen Energiekonzern RWE auf anteilsmässigen Schadenersatz in Höhe von rund EUR 17’000, um Schutzbauten gegen Gletscherfluten, welche sein Haus in den peruanischen Anden gefährden, zu finanzieren (Lliuya v. RWE). RWE (bzw. deren Rechtsvorgänger) sei gemäss der «Carbon Majors»-Studie von Heede für ca. 0.47% der zwischen 1751 und 2010 weltweit ausgestossenen Treibhausgase verantwortlich und sei im entsprechenden Ausmass anteilsmässig haftbar. Der Kläger stützt sich zur Begründung seines Anspruchs insbesondere auf Angaben in Berichten des International Panel on Climate Change (IPCC), wonach das Abschmelzen von Gletschern und Eisfeldern in den Anden «mit sehr grosser Sicherheit» auf den menschgemachten Klimawandel zurückzuführen ist. Wichtig für den Prozess sind zudem wissenschaftliche Fortschritte im Bereich der Attributionsforschung («attribution science»), die den Zusammenhang des menschengemachten Klimawandels mit einzelnen Wetter- oder Klimaextremen untersucht.

Nachdem das erstinstanzliche Gericht (Landgericht Essen) die Klage abgewiesen hatte, stellte das hierauf angerufene Oberlandesgericht Hamm (Nordrhein Westphalen) 2018 fest, die Haftung eines Emittenten könne nicht allein deshalb ausgeschlossen werden, weil eine Vielzahl von Verursachern (Treibhausgas-Emittenten) gemeinsam zum Klimawandel beigetragen haben. Vielmehr trage in einer solchen Situation grundsätzlich jeder einzelne Störer eine Verantwortung für seinen jeweiligen Beitrag. Das Gericht ordnete daher die Beweisaufnahme vor Ort in Peru an, welche jedoch offenbar u.a. wegen COVID-19 stark verzögert wird. Der Prozessausgang ist ungewiss. Sollte ein Gericht letztlich die Haftung des Energiekonzerns feststellen, wäre dies ein Entscheid von grösster Bedeutung in der Klimaprozessführung.

Ein weiterer – ebenfalls noch hängiger – Prozess gegen ein Unternehmen ist Milieudefensie et al v. Shell in den Niederlanden. Siehe hierzu diesen Klima&Recht Blogbeitrag.

Aktienrechtliche Haftung

Verletzt ein Leitorgan einer Gesellschaft seine Sorgfaltspflichten und führt dies zu einem Schaden (i.d.R. ist hier von einem Schaden für Aktionäre oder Gläubiger die Rede), kann grundsätzlich die aktienrechtliche Haftung (in der Schweiz: sog. Organhaftung Art. 754 ff. OR) zum Tragen kommen. Im Klimakontext könnte dies etwa dann der Fall sein, wenn ein Organ (insb. ein Mitglied des Verwaltungsrats oder der Geschäftsleitung) Klimarisiken für das Unternehmen nicht adäquat gegenüber Aktionären offenlegt und hieraus ein finanzieller Schaden für das Unternehmen und letztlich die Aktionäre oder Gläubiger resultiert.

Mehrere Prozesse in den USA veranschaulichen, wie Kläger (meist Aktionäre) versuchen, Leitorgane für einen erlittenen Schaden (z.B. Kursverluste) haftbar zu machen. Ein Beispiel hierfür ist der Fall Ramirez v. ExxonMobil. Die Klage wirft dem Energieunternehmen und den eingeklagten Organpersonen vor, Klimarisiken nicht adäquat offengelegt und Aktionäre hierdurch letztlich geschädigt zu haben. Ramirez v. ExxonMobil wird als der erste Fall angesehen, bei welchem sich ein Gericht mit gesellschaftsrechtlichen Treue- und Offenlegungspflichten im Zusammenhang mit dem Klimawandel befassen muss. Das Verfahren ist derzeit ebenfalls noch hängig.

Ausblick

Ursprünglich war privatrechtliche Klimaprozessführung gegen Unternehmen vornehmlich ein angelsächsisches Phänomen (insb. US, UK, Australien). Immer häufiger werden jedoch entsprechende Klagen in kontinentaleuropäischen Ländern (z.B. Deutschland, Frankreich, Niederlande, Polen) anhängig gemacht. In der Schweiz ist bisher noch kein solcher Fall bekannt.

Weiterführend

  • Andreas Hösli/Rolf H. Weber, Klimaklagen gegen Unternehmen. Internationale Entwicklungen und deren Bedeutung für die Schweiz, Jusletter (25. Mai 2020) (abrufbar via swisslex)
  • Rolf H. Weber/Andreas Hösli, Corporate Climate Responsibility – aktienrechtliche Haftungsrisiken für den Verwaltungsrat?, SJZ/RSJ 116 (2020) Nr. 18, 605 (abrufbar via swisslex)
  • Andreas Hösli, Milieudefensie et al. v. Shell: A Tipping Point in Climate Change Litigation against Corporations?,  11 (2021) Climate Law  195-209 
  • Rolf H. Weber/Andreas Hösli, Der Klimawandel fordert die Unternehmen, NZZ 12.1.2021 (Link)
  • Andreas Hösli, Shell-Urteil: Der Klimawandel im Gerichtssaal, NZZ 12.7.2021 (Link)

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