Klimaprozesse gegen Energieunternehmen auf Schadenersatz
Der Klimawandel als komplexes Phänomen stellt Rechtssysteme vor zahlreiche Herausforderungen. Eine Hauptschwierigkeit besteht darin, dass eine grosse Anzahl von Verursachern (Emittenten von Treibhausgasen) in unterschiedlichem Ausmass zum Klimawandel beigetragen haben (und weiterhin beitragen), die entstandenen Schäden aber diffus irgendwo auf der Welt und zudem zeitlich verzögert eintreten können. Ob Emittenten, insbesondere Grossemittenten wie etwa fossile Energie- oder Zementunternehmen daher für Klimaschäden haften könnten, ist aus mehreren Gründen eine sehr komplexe Frage. Unter anderem ist die Kausalität, eine zentrale Haftungsvoraussetzung, schwierig nachzuweisen. Auch stellen prozessuale Hindernisse hohe Hürden dar, so etwa im Zusammenhang mit der Prozesslegitimation (Fähigkeit, einen Prozess zu führen), (z.T. prohibitiv) hohen Prozesskosten für die Klägerschaft und der Bezifferung von Schäden.
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Das weltweit wohl anschaulichste Beispiel eines Klimaprozesses gegen ein privates Unternehmen wird derzeit in Deutschland durchgeführt. Saul Lliuya, ein peruanischer Bauer, verklagt den börsenkotierten deutschen Energiekonzern RWE auf anteilsmässigen Schadenersatz in Höhe von rund EUR 17’000, um Schutzbauten gegen Gletscherfluten, welche sein Haus in den peruanischen Anden gefährden, zu finanzieren (Lliuya v. RWE). RWE (bzw. deren Rechtsvorgänger) sei gemäss der «Carbon Majors»-Studie von Heede für ca. 0.47% der zwischen 1751 und 2010 weltweit ausgestossenen Treibhausgase verantwortlich und sei im entsprechenden Ausmass anteilsmässig haftbar. Der Kläger stützt sich zur Begründung seines Anspruchs insbesondere auf Angaben in Berichten des International Panel on Climate Change (IPCC), wonach das Abschmelzen von Gletschern und Eisfeldern in den Anden «mit sehr grosser Sicherheit» auf den menschgemachten Klimawandel zurückzuführen ist. Wichtig für den Prozess sind zudem wissenschaftliche Fortschritte im Bereich der Attributionsforschung («attribution science»), die den Zusammenhang des menschengemachten Klimawandels mit einzelnen Wetter- oder Klimaextremen untersucht.
Nachdem das erstinstanzliche Gericht (Landgericht Essen) die Klage abgewiesen hatte, stellte das hierauf angerufene Oberlandesgericht Hamm (Nordrhein Westphalen) 2018 fest, die Haftung eines Emittenten könne nicht allein deshalb ausgeschlossen werden, weil eine Vielzahl von Verursachern (Treibhausgas-Emittenten) gemeinsam zum Klimawandel beigetragen haben. Vielmehr trage in einer solchen Situation grundsätzlich jeder einzelne Störer eine Verantwortung für seinen jeweiligen Beitrag. Das Gericht ordnete daher die Beweisaufnahme vor Ort in Peru an, welche jedoch offenbar u.a. wegen COVID-19 stark verzögert wird. Der Prozessausgang ist ungewiss. Sollte ein Gericht letztlich die Haftung des Energiekonzerns feststellen, wäre dies ein Entscheid von grösster Bedeutung in der Klimaprozessführung.
Ein weiterer – ebenfalls noch hängiger – Prozess gegen ein Unternehmen ist Milieudefensie et al v. Shell in den Niederlanden. Siehe hierzu diesen Klima&Recht Blogbeitrag.